#FrauenErzählen – Eine Liebesgeschichte
01.10.2023 – „Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bei diesem Ehepaar sah, dass es möglich ist, auch mit etwa 90 Jahren durch Respekt zu lieben.“
Foto: Lena
Eine Liebesgeschichte
von Lena
Ich bin eine ehemalige 24-Stunden-Betreuerin und möchte hier einige der emotionalen Momente teilen, die ich erlebt habe.
Irgendwo im Mühlviertel, ein neuer Fall, Mann und Frau. Er ist 89, sie 87 Jahre alt, beide Rollstuhlfahrer. Sie war hart und streng, hatte einen dominanten Charakter. Er war sanft und liebevoll mit erstaunlichem Respekt. Er durchlebte den Zweiten Weltkrieg und verlor ein Bein knapp unter der Hüfte. Ein 1,91 Meter großer Mann mit gut gebautem Körper. Trotz seines Alters hatte er sich gut gehalten. Jeden Tag machte er Sportübungen, wenn er im Bett lag. Er hatte eine Prothese und ab und zu trug er sie, zum Beispiel wenn wir zu Untersuchungen gingen. Sie war mit 1,5 Meter ein Zwerg von einer Frau und ansonsten dünn.
Was ich erzählen möchte, handelt von Liebe und Respekt. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bei diesem Ehepaar sah, dass es möglich ist, auch mit etwa 90 Jahren durch Respekt zu lieben.
Abends, wenn ich sie ins Bett brachte, küssten sie sich immer als Zeichen der Liebe und des Respekts. Sie wollten sich nicht mehr über die Auseinandersetzungen des Tages aufregen und nicht streitend ins Bett gehen.
Am ersten Abend, als ich diesen emotionalen Moment sah, flossen mir die Tränen. Zwei alte Menschen, die durch die Prüfungen des Lebens gegangen waren, hielten immer noch ihr Gelübde. „Durch dick und dünn, bis dass der Tod uns scheidet.“ Obwohl sie für mich Fremde waren, konnte ich nicht anders, als diesen großen Schmetterling in meinem Bauch zu spüren. Weil wir Menschen sind und wir alle Gefühle haben, auch wenn einige von uns nach außen kälter sind.
Obwohl sie tagsüber sehr dominant und autoritär war – als Frau kann ich „böse“ sagen –, während er erstaunlich ruhig war, wusste er sie immer mit netten Worten und zärtlichen Gesten zu beruhigen. Er nannte sie „meine liebe Frau“ und „mein Liebling“.
Er hatte Sinn für Humor, fürs Geschichten erzählen, verfasste Gedichte und Lieder und sang und las, seit er in der Armee war. Wenn sich die Familie versammelte, war er die Seele von Zusammenkünften. Wir haben mit ihm gelacht, Geschichten aus seinem Leben gehört, er spielte für uns Mandoline und Mundharmonika. An Feiertagen zog er uns immer mit Geschichten in den Bann. Er hatte eine Gnade zu erzählen, wir haben diese Geschichten zusammen mit ihm durchlebt. Und an Geburtstagen stand er im Mittelpunkt. Jedes Mal, wenn ich ihm bei etwas half, küsste er meine Hand als Zeichen des Dankes und Respekts dafür, dass ich da war, um ihm zu helfen.
Ich denke, dass ich diesen Respekt in diesem Job nie wieder bekommen werde. Er sagte immer, dass wir in Frieden mit unseren Lieben leben müssen. Damals war ich zu jung um das zu verstehen, aber mit der Zeit verstand ich es. Von älteren Menschen, die durch die Härten des Lebens gegangen sind, lernt man etwas.
Darum schließe ich mit einem Sprichwort aus Rumänien: „Diejenigen, die ältere Menschen an ihrer Seite haben, sollten sie behalten und diejenigen, die keine haben, sollten sich welche kaufen.“