#FrauenErzählen – Seiten meines Lebens
02.11.2023 – „Zwei Tage bevor wir nach Linz zogen, es war ungefähr fünf Uhr morgens, ich schlief und hörte ein lautes Geräusch, als würde etwas zerbrechen. Die Polizei brach die Tür auf und holte meinen Mann raus.“
Foto: Rusul
Seiten meines Lebens
von Rusul
Am 18. Oktober 2018 rief mich die österreichische Botschaft an und teilte mir mit, dass mein Sohn und ich ein Visum erhalten hätten.
Ich fing an, nach dem Telefonat, auf das ich dreieinhalb Jahre gewartet hatte, vor Freude zu schreien und zu tanzen. Am nächsten Tag reiste ich nach Ankara und bekam das Visum in meinen Pass. Ich sah es mir an. Ich war sehr glücklich. Endlich werde ich meinen Mann treffen und mein Sohn wird seinen Vater treffen, der ihn nur vom Telefonbildschirm kennt.
Endlich kam der erwartete Tag. Wir reisten von der Türkei nach Österreich, es waren glückliche Momente und gleichzeitig war ich traurig, weil ich meine Familie und die meines Mannes verlassen hatte.
Mein Sohn und ich verließen den Flughafen, mein Mann wartete auf uns, es waren unvergessliche Momente.
Ich bin vor Weihnachten in Österreich angekommen. Es war sehr schön in Wien. Alles war neu für mich. Eine Woche nach meiner Ankunft in Wien bekam ich Besuch von meinem in Finnland lebenden Bruder, den ich seit vier Jahren nicht mehr getroffen hatte. Das war ein besonderes neues Jahr für uns
Nach zwei Monaten in Wien bekam ich für meinen Sohn und mich Aufenthaltspapiere in Österreich und zu dieser Zeit fing mein Mann an, sich nach Linz zu sehnen, weil er vier Jahre dort gelebt hatte und alle seine Freunde und Bekannten in Linz waren. Deshalb beschlossen wir nach fünf Monaten, von Wien nach Linz zu ziehen.
Zwei Tage bevor wir nach Linz zogen, es war ungefähr fünf Uhr morgens, ich schlief und hörte ein lautes Geräusch, als würde etwas zerbrechen. Es war ein schrecklicher Moment. Die Polizei brach die Tür auf und holte meinen Mann raus. Ich war unter Schock, ich wusste nicht was los war, ich wollte mit ihnen reden, aber ich konnte nicht Deutsch. Ich fragte, was passiert ist und wo mein Mann ist. Dann habe ich angefangen, auf Englisch zu sprechen und sie sagten mir, ich solle mir keine Sorgen machen, „Ihr Mann ist draußen, wir wollen ihn etwas fragen.“ Ich hatte große Angst um meinen Sohn und meinen Mann, und das Schwierigste für mich war nicht zu verstehen, was um mich herum vor sich ging.
Hier habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, Deutsch zu lernen, um zu verstehen, was um mich herum passiert, denn ohne Deutsch kann ich hier nicht leben.
Die Polizisten fingen an, die ganze Wohnung zu durchsuchen, dann sahen sie die Postpapiere und lasen den Namen meines Mannes. Sie fragten mich, ob mein Mann Haider heiße. Ich sagte ja, sie sahen sich an und sprachen untereinander Deutsch. Ich verstand nicht, was los war. Dann schauten sie auf die Wohnungsnummer und stellten fest, dass sie sich in der Wohnung geirrt hatten. Das Gebäude gehörte einer Person, die jede Wohnung in zwei Teile teilte. Die Wohnungsnummer war nicht klar, es gab viele Fehler bei der Aufteilung und Nummerierung der Wohnungen im Gebäude.
Mein Ehemann war nicht die verdächtige Person. Es war die Person, die in der Wohnung gegenüber von uns wohnte. Die Polizisten fanden die gesuchte Person und kamen zurück, um sich bei mir, meinem Kind und meinem Mann zu entschuldigen. Sie reparierten die Wohnungstür und brachten mich zu einem Krankenwagen, um meinen Zustand zu überprüfen, weil ich im zweiten Monat schwanger war. Es war nur eine Stunde, aber es war die schwierigste Stunde, die ich in meinem ganzen Leben erlebt habe.
Zwei Tage später zogen wir nach Linz und nach einer Woche bin ich zum AMS gefahren, um einen Deutschkurs zu bekommen, aber leider bekam ich keinen, weil ich schwanger war. Ich wollte nicht länger warten, um Deutsch zu lernen. Ich habe zu Hause angefangen, durch YouTube zu lernen. Dann begann ich zu fragen: „Wie kann ich einen Kurs bekommen?“ Ich bin zum ÖIF gegangen und habe einen A1-Kurs bekommen können. Ich war sehr zufrieden, ich habe viele deutsche Wörter und Sätze gelernt. Der letzte Tag des Kurses war der Tag der Geburt meines Kindes.
Nach der Geburt hatte ich nicht genug Zeit zum Lernen, drei Monate später kam Corona, es war eine schwierige Zeit für alle. Nach einem Jahr schien sich die Situation etwas zu bessern, ich ging zum ÖIF und konnte einen A2-Kurs bekommen. Als der Kurs begann, war ich nur zwei Jahre in Österreich und mit dem Corona-Jahr war ich ohne Kontakt zu Hause und der Rest der Schüler war sechs Jahre in Österreich und sie sprachen gut Deutsch. Ich war etwas enttäuscht und dachte, vielleicht schaffe ich die Prüfung nicht.
Es war schwierig. Ich war für fast alles verantwortlich. Mein Mann hat die meiste Zeit gearbeitet und ich war mit zwei Kindern daheim. Aber ich habe mich selbst herausgefordert. Ich fing an, zu Hause und im Kurs zu lernen und ich war eine der angesehensten Studenten im Kurs. Ich wurde für die Prüfung nominiert, nur ich und fünf Studenten, und ich bekam die besten Noten in der Prüfung. Meine Sprache hat sich nach A2 deutlich verbessert. Ich habe gleich mit dem B1-Kurs angefangen und auch diese Prüfung konnte ich mit Bestnote bestehen.
Mit dem Ende des B1-Kurses war auch meine Karenz beendet. Ich meldete mich beim AMS, bekam einen Jobsuche-Kurs und konnte die FSBA-Ausbildung finden. Ich bin jetzt im Vorbereitungskurs für diese Ausbildung und in zwei Monaten beginne ich die Ausbildung und Ende des Jahres melde ich mich für einen Fahrkurs und einen Schwimmkurs an und träume den Rest …