#frauenerzählen – Stärke statt Schwäche

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Foto: Iryana

Stärke statt Schwäche

von Iryana

Vor mittlerweile zehn Jahren, im Februar 2013, bin ich am Flughafen in Wien-Schwechat gelandet. Damals war ich offen für Neues, hatte keine Erwartungen und Hoffnungen, sehr wenig Praxis der deutschen Sprache und eine geringe Vorstellung von Österreich. Ich wollte meine Chance nutzen und schauen, was auf mich zukommt. Zur Sicherheit hatte ich genug Geld für einen möglichen Rückflug dabei.

Aus einem zwölfmonatigen Au-Pair-Programm sind inzwischen zehn Jahre geworden. Ich habe in Österreich meine große Liebe gefunden und bin in meiner neuen Heimat im Mühlviertel geblieben.

Plötzlich war ich Mutter eines neunjährigen Jungen. Meine sowjetischen Vorstellungen von Erziehung musste ich nach ersten Erfahrungen anpassen. Ich lernte, mir meine Fehler einzugestehen, mich zu entschuldigen und auf mein Bauchgefühl zu hören. Viel Liebe, Offenheit, Umarmungen und Gespräche haben sich gelohnt. In diesem Jahr ist Lukas 19 Jahre alt geworden und ich bin sehr stolz, seine Mutter sein zu dürfen.

In der ländlichen Gegend bin ich auf viele Parallelen zur Ukraine gestoßen. Nach wie vor bin ich vom ehrenamtlichen Engagement vieler Österreicher in verschiedenen Organisationen (Freiwillige Feuerwehr, Rotes Kreuz, Sportvereinen, usw.) begeistert. Oft habe ich mir etwas Ähnliches in meiner Heimat gewünscht.

Dank des enormen Vertrauens und der Unterstützung meines Ehemanns habe ich den Führerschein gemacht. Dies war ein wichtiger Schritt, um meine eigene Sozialisierung zu ermöglichen. Ich hatte immer Angst, mit einem Auto zu fahren, aber mein Wunsch zu arbeiten und Kontakte zu knüpfen war größer. Da ich den Kontakt zu meinen Bekannten, die bis zu 35 Kilometer entfernt wohnen, pflegen wollte, musste ich diese Angst überwinden. Es hat sich gelohnt, denn daraus sind langjährige Freundschaften entstanden. Wir haben in dieser Zeit zusammen Höhen und Tiefen erlebt, unsere Schwierigkeiten besprochen, gelacht, geweint, Kinder geboren und uns durch Trennungen begleitet. Dank unserer Freundschaft haben wir das Gefühl, hier eine zweite Familie gefunden zu haben, da unsere Eltern bekanntlich weit entfernt leben.

Bei meiner Arbeitssuche beschloss ich, meine bisherige Berufserfahrung und besonders meine russisch-ukrainischen Sprachkenntnisse zu nutzen. Beim allerersten Vorstellungsgespräch in Österreich war ich überzeugt, wegen mangelnder Deutschpraxis keine Chance zu haben. Daher war ich sehr entspannt. Mein einziges Ziel war es, Praxis bei diesen Terminen zu sammeln. Wie überrascht war ich, als ich den Job nach diesem Gespräch bekommen habe!

Während meiner Arbeitszeit genoss ich es, in einem internationalen Team mit abwechslungsreichen Aufgaben zu arbeiten. Daraus entstanden langjährige Freundschaften. Was mich überraschte, war der respektvolle Umgang zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Jedes Mal, wenn ich mit meinem Vorgesetzten gesprochen habe, hatte ich Angst, angeschrien zu werden, was leider in der Ukraine regelmäßig vorkam. Erst einige Zeit später verstand ich, dass das in Österreich nicht üblich ist und als Zeichen der Schwäche verstanden wird.

Als 2014 russische Truppen die ukrainische Krim völkerrechtswidrig annektiert haben, konnte ich meine Sorgen nicht teilen, da ich damals zu wenig Landsleute kannte. Ich habe ständig Nachrichten geschaut und geweint, bis ich irgendwann akzeptieren musste, keinen Einfluss auf diese Situation zu haben und damit leben zu lernen.

Zur Jahreswende 2021/22 war die Lage rund um die Ukraine sehr angespannt und wir hatten große Sorgen um unsere Familien in meinem Heimatland. Schon vor dem Angriff der russischen Armee am 24.02.2022 spürten wir Ukrainerinnen in Österreich ein großes Bedürfnis, etwas zu unternehmen. Zu diesem Zeitpunkt ist die ukrainische Gemeinschaft in Linz entstanden. Bei Demonstrationen könnten wir unseren Schmerz teilen, einander umarmen und herausfinden, wie es unseren Familien in der Heimat ging. Diese Nähe zu spüren war für uns notwendig, um einander zu verstehen und verstanden zu werden.

Wie schwierig das Ankommen in einem fremden Land ist, werden nur Menschen mit Migrationsgeschichte verstehen. Das Wichtigste ist, dass die Migration wirklich ein Herzenswunsch ist und bestmöglich geplant und vorbereitet wird. Leider war dies bei vielen meiner geflüchteten Landsleute nicht möglich, da sie abrupt aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen wurden und fliehen mussten!

Es war nicht der eigene Wunsch der Vertriebenen, ihre Heimat zu verlassen und sich auf die Sprache und Kultur vorzubereiten. Jede Aktivität im täglichen Leben erfordert enorme Anstrengung. Hinzu kommen Existenzängste, die Sorge um die Zurückgebliebenen und der mit der Flucht verbundene Stress. Das Erlernen der Sprache erfordert maximale Konzentration, einen starken Willen und harte Arbeit, trotz aller psychischen und physischen Anstrengungen. Unabhängig davon ist die Sprache der zentrale Schlüssel für eine erfolgreiche Sozialisierung.

Ich würde allen Menschen empfehlen, bei der Jobsuche neben ihren bisherigen Berufserfahrungen wenn möglich auch ihre Muttersprache als persönliche Stärke zu betrachten. Und ich würde jedem raten, über seinen Schatten zu springen und sich nicht von der eigenen Angst entmutigen zu lassen. Ich möchte auch dazu ermutigen, offen für neue Bekanntschaften zu sein, Zeit in diese zu investieren und sich um neue Freundschaften zu bemühen, sie zu pflegen und ihnen Zeit zum Wachsen zu geben.