#frauenerzählen – Der Duft des Honigs in Jurivka

null

Foto: Myrsolava

Der Duft des Honigs in Jurivka

von Myroslava

Die grünen Fliegen fand ich am schönsten. Die glänzten so schön in der Sonne. Ich baute deren Häuschen im Sandhaufen, indem ich dort ein Loch ausbuddelte, einige Blätter und Blumen hineinlegte und das Ganze mit einer Glasscherbe abdeckte.

Der Sandhaufen war unter dem Marillenbaum, der auf der Straßenseite wuchs. Der trug spät und die Marillen waren klein. Die früh tragende Marille hatte Opa im Hof hinter dem Zaun in Sicherheit gepflanzt. Bei dem großen Kirschbaum war Opa noch unerfahren und hat ihn direkt bei der Straße gepflanzt. Diese Kirsche trug als Erste im ganzen Dorf die glänzend-roten Früchte. Wie die schmeckten, wussten wir nie, weil der Baum bei allen Jugendlichen im Dorf sehr beliebt war. Kaum hatten die Kirschen angefangen zu röten, da hingen schon die Jungs in Trauben am Baum. Meistens in der Dämmerung, damit Opa sie nicht sah. Jeden Morgen schimpfte er dann über abgebrochene Äste und drohte, die Kirsche abzusägen.

Opa hat ständig entweder irgendwelche neuen Sorten Obst gepflanzt oder bei den älteren Bäumen irgendwas abgeknipst, um sie zu „verjüngen“. Der ganze Hof war voll mit Obstbäumen und Sträuchern. Wir hatten nicht nur Äpfel und Birnen, Marillen und Zwetschken, oh nein, wir hatten auch schwarze Weichseln, violettfarbene Felsenbirnen, gelbe Mirabellen, grüne Reneklode-Pflaumen und weiße Johannisbeeren. Und zwischen dieser Pracht standen grün, gelb und blau gestrichene Bienenstöcke. Im Frühjahr duftete und summte es im Garten.

Wir Kinder konnten nie warten, bis die ersten Marillen reif wurden. Wenn Opa nicht im Garten war, pflückten wir die steinharten grünen Marillen und bissen rein. Von der Säure zog es uns die Zähne zusammen. Und den noch milchigen, weichen Kern nahmen wir auseinander, um zu schauen, was da drinnen war. Später habe ich erfahren, dass Opa immer gewusst hat, dass wir die grünen Marillen stibitzten.

Im Sommer saß ich am Kirschbaum und spuckte die Kirschkerne runter. Dabei musste ich höllisch aufpassen, denn manchmal war ein Wurm drin. Aber Opa hat immer gesagt: „Ist doch wurscht, der Wurm hat ja nur Kirschen gegessen, also schmeckt er auch nach Kirschen.“ Im Juli erntete Opa Honig. Als ich fünf war, stach mich eine Biene in den Popo, deshalb versteckte ich mich bei der Honigernte immer im Haus. Ich beobachtete durch das Fenster, wie Opa in seiner weißen Imkertracht und dazu einem komischen Hut die Deckel von den Bienenstöcken hob. Mit der Raucher-Kanne räucherte er die Bienen ein. Dann nahm er die Rahmen mit dem Honig raus und schleuderte sie in einer Schleudermaschine aus.

Vor dem letzten Rahmen hat Opa immer ein Stück Wabe mit Honig ausgeschnitten und uns zum Schlemmen gegeben. Ich biss in das duftende Wabenstück, der Honig floss raus und das Wachs klebte auf meinen Zähnen.

Zum letzten Mal habe ich mit Opa geredet, als wir die Kukuruzkolben von seinem Gemüsegarten weggeräumt haben. Es war ein sonniger und kalter Oktobertag. Wir haben die Kolben von den trockenen Stängeln abgebrochen und in die Schubkarre geworfen. Opa war dabei schneller als ich. Er bestand darauf, die Karre selbst zum Stadl zu schieben, obwohl er schon 82 Jahre alt war, und ich erst 35.

In der Morgendämmerung rief Oma an, der Opa sei gestorben.

Den Honig haben wir schon lange aufgegessen, aber die Schleudermaschine steht immer noch im Abstellraum und duftet nach Honig und Bienenwachs.